Februar 19, 2022

Aus Liebe zur Demokratie



Ein Beitrag von Lena Haußmann

Nicht jeder Spaziergänger ist ein Nazi. Aber diese Demonstrationen sind mit „Querdenken“
zur neuen Spielwiese der Nazis und Rechtsextremen geworden, ohne, dass sich die
Teilnehmenden davon genug distanzieren. Wenn die Spaziergängerinnen es nicht ohne Verfassungsfeinde schaffen, ihre Kritik zu äußern, dann haben sie sich damit eindeutig selbst diskreditiert. Denn mit Rechtsextremen braucht man nicht zu reden und mit Nazis dürfen wir keine Kompromisse machen. Wir rücken keinen Millimeter nach rechts! Kein Fußbreit den Faschisten – dieser Grundsatz gilt auch für euch, liebe Spaziergängerinnen. Mit
menschenverachtenden Positionen kann es keine Mitte und kein Zusammenleben geben.
Und wer diese Positionen auf der eigenen Demo akzeptiert, hat sich für jeden ernsthaften
Diskurs disqualifiziert. Wer eine Bewegung startet und eine Versammlung organisiert, trägt
die Verantwortung dafür, wer mitläuft. Und dabei macht es keinen Unterschied, ob man sich
zentral organisiert oder nur das Narrativ vom „Spaziergang“ übernimmt. Und machen wir
uns nichts vor: Ihr wisst ganz genau, dass bei eurer Bewegung auch Rechte und Antisemiten
mitlaufen.
Warum habt ihr die Unterstützung der Rechten nötig? Der Feind meines Feindes ist eben
kein Freund, und ganz besonders nicht, wenn er ein Nazi ist. Die meisten, die gegen Regeln
und Impfung demonstrieren, sind nicht rechts. Aber wer rechtsextreme Positionen und
Gewalt toleriert, der wird von uns aufs schärfste kritisiert.
Ein Zweckbündnis mit dem rechten Rand mag verlockend erscheinen, um mehr Menschen
gegen die Maßnahmen auf die Straße zu bringen. Dabei ist es kurzsichtig und gefährdet
unser Gemeinwesen, indem es Rechtsextremen eine Plattform bietet und extreme
Positionen salonfähig macht. Wir sehen seit Jahren bei der AfD, PEGIDA und zuletzt bei
Querdenken, dass sich die Extremen am Ende durchsetzen und Bewegungen übernehmen.
Wer sich dazu verleiten lässt, demokratischen Prozessen und der Wissenschaft grundsätzlich
zu misstrauen, läuft direkt in die Arme der Demagogen und Desinformanten. Ein Bündnis mit
Menschen, die gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung kämpfen, kann gar
nicht dazu führen, dass sich etwas verbessert.
Und man sieht schon jetzt das Ergebnis. Sich der Impfung grundsätzlich und aus Prinzip zu
verweigern, ist nicht nur unsolidarisch. Die Impfgegner ignorieren wissenschaftlich Fakten
und gesellschaftliche Grundwerte. Wenn sich ein Teil der Gesellschaft weigert, in
wissenschaftliche Prozesse zu vertrauen und sich seine eigenen Fakten ausdenkt, kann es
keinen sinnvollen Diskurs um die beste Politik für alle geben. Man kann sich die Welt eben
nicht so drehen, wie sie einem gefällt!
Klare Kante gegen Rechts ist wichtig. Wir müssen aber einen Schritt weiter gehen. Denn es
bringt uns gar nichts, wenn wir am Ende sagen können, dass wir zwar die Guten waren.
Unsere freiheitliche, offene, demokratische Gesellschaft haben wir dann trotzdem verloren.
Und in einem Land der geschlossenen Grenzen, in dem Politiker:innen angegriffen und nichtweiße, nicht-binäre Menschen ausgegrenzt werden, will ich persönlich nicht leben!
Wir dürfen uns aber nicht damit zufrieden geben, die auszugrenzen, die das Vertrauen in
demokratische Institutionen und Prozesse verloren haben. Denn damit schaffen wir nur
mehr Spaltung und treiben diejenigen, die sich ohnehin schon vergessen fühlen, in die Arme
der Rechten.
Wir müssen sie zurück gewinnen. Für Demokratie, für Freiheit, für einen friedlichen Diskurs.
Es wäre ein Fehler, die Menschen schon aufzugeben. Dadurch verstärken wir nur die AntiHaltung und machen das rechte Lager attraktiv für die, die für sich in unserer Gesellschaft
keine Platz mehr sehen. Ein ideologischer Bürgerkrieg ist nicht zu gewinnen. Wir müssen uns
fragen, warum sich Menschen nicht konstruktiv einbringen wollen. Wir müssen uns darum
kümmern, woher Vertrauensverlust, Ignoranz und Egoismus kommen und was wir dagegen
tun können.
Denn unsere freiheitliche Demokratie ist ein riesiges Privileg. Natürlich können wir den
Menschen vorwerfen, dass sie sie nicht genug schätzen, dass es ihnen an Solidarität und
Verantwortungsgefühl mangelt. Am Ende ist es aber wichtiger, die Resignierten, die
Impfgegner und Politikverdrossenen wieder für Teilhabe und demokratische Mittel zu
begeistern, als Recht gehabt zu haben.
Und natürlich ist unsere Demokratie nicht perfekt. Ja, es gibt auch bei uns Korruption und
Maskendeals. Und auch das Gefühl, übersehen zu werden, ist nicht immer unberechtigt.
Nicht erst seit der Pandemie werden ganze Bevölkerungsgruppen vernachlässigt.
Aber der Schluss aus den Fehlern der Politik darf nicht sein, dass wir aufgeben und uns
abwenden! Anders als in den meisten Ländern der Welt hat bei uns jeder und jede die
Chance, sich einzubringen, sich wählen zu lassen und etwas zu verändern. Das ist der Weg,
um etwas zu verbessern – und nicht das Kuscheln mit dem rechten Rand.
Vertrauen in Demokratie, staatliche Institutionen und Wissenschaft bedeutet nicht, dass wir
die Augen vor den Problemen verschließen. Wir kritisieren die Corona-Politik von Bund und
Ländern genau so hart. Entscheidend ist, dass diese Kritik sachlich und konstruktiv ist.
Nachhaltige, positive Veränderung lässt sich nur mit demokratischen Mitteln erreichen.
Es gibt keine Demokratie ohne Demokrat*innen. Wenn das Volk über sich selbst herrscht,
müssen Bürgerinnen und Bürger mitmachen und Verantwortung übernehmen. In einer
Demokratie ist der Staat nicht der Feind. Aber wenn die Menschen resignieren, wenn sie sich
nicht einbringen und politisch engagieren, dann wird er das. Und deshalb müssen sie zurück
gewinnen! Sie müssen wieder vertreten und gehört werden. Es braucht Selbstwirksamkeit
und Plattformen für konstruktive Debatten.
Und wir brauchen Strategien, damit sie sich gar nicht erst radikalisieren. Wir brauchen mehr
Bildung, mehr Partizipation, mehr Bewusstsein für die eigene Verantwortung. Der Staat ist
keine Institution, die nichts mit uns zu tun hat. Der Staat sind wir. Und dafür müssen wir alle
Verantwortung übernehmen, eintreten für Demokratie, für demokratischen Diskurs.
Frieden, Freiheit und Demokratie sind nämlich keine Selbstverständlichkeit. Das sehen wir
gerade in Russland, China, langsam auch in den USA. Aber es geht auch anders. Und dafür
kämpfe ich.



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